TEN PLACES TO BE MET / DIECI LUOGHI DA INCONTRARE

Installation, Salento, Apulien 2003

Im Rahmen der Poly-Morphosis-Ausstellung des INITINERE-Kunstprojekts wurden mit „ten places to be met“ 10 spezifische Orte und Situationen der Region des südlichen Salento als Motive für 10 Postkarten ausgewählt. Die Postkarten zeigen diese Orte arrangiert und verfremdet. Die Motive verweisen auf Charakteristika dieser Region, ihre Architektur, Landschaft, Menschen, Geschichte und Kultur. Sie zeigen Imaginationen, die einen herausfordern diese Orte zu besuchen und sich selbst weitere Bilder von ihnen zu machen.
 Die Inszenierungen auf den Postkarten zeugen von Widersprüchlichkeit, Schönheit, Verlassenheit, Alltag, Zukunft. Besucht man die Orte, findet man sie unberührt, brach, aufgewühlt, unverändert oder wie neu.
 Die Postkarten bilden eine kommunikative Brücke zwischen den Orten und dem Betrachter sowie zwischen Absender und Adressaten. 
Die Postkarten wurden in zwölf Bars im südlichen Salento der Provinz Lecce verkauft – zwischen den Städten Gallipoli, Otranto und Santa Maria di Leuca an der apulischen Südspitze.

Postkartenverkauf / postcard sales points: 
Bar del Porto – Santa Maria di Leuca 
Bar Vecchio Mercato – Gallipoli
Bar Speran – Castro Marina 
Bar La Guardiola – Marina di Corsano 
Bar Kenzia – Casarano 
Santa Maria della Croce – Casarano 
Libreria Venneri – Casarano 
Bar da Carlo – Porto Badisco, Otranto 
Alma Mater – Castrignano del Capo 
Tabaccheria N.2 di longo Alfio – Ugento 
Stella del Mare (Trattoria) – Torre Pali 
Liberrima – Lecce

As part of the „Poly-Morphosis“ exhibition of „INITINERE“ art project – with „ten places to be met“ ten different places and specific situations of the south Salento area were chosen as motives for ten picture postcards. The postcards show these places arranged and transformed. The pictures will link to charachteristics of the region, its architecture, landscapes, people, history and culture. They show imaginations that provoke to visit these places and find own views of them.
The staging of the places will give evidence of contradiction, beauty, abandonment, everyday life and future. By visiting the places you will find them untouched, out of function, misused, quite the same or much different.
The postcards form a bridge of communication between the places and the viewer, between object and subject, and sender and addressee.
The picture postcards had been sold in twelve bars in the south Salento area of the Province of Lecce – between the cities of Gallipoli, Otranto and Santa Maria di Leuca in the very south of Apulia.

Installation für INITINERE progetto d’arte contemporaneo, Salento, Italien 2003

Manfred Heilemann

Ten places to be met. 10 Interventionen von Constanze Unger
INITINERE Katalog, Lecce 2004

Der Beitrag „Ten places to be met“ [‚zehn Orten zu begegnen‘ oder ‚zehn Orte aufzusuchen‘] besteht aus zehn virtuellen Installationen. Constanze Unger hat zehn fotografische Montagen gefertigt, daraus Postkarten herstellen lassen und an zwölf Orten im Salento zum Erwerb angeboten, zu 50 Cent das Stück. Es sind eigens Postkartenständer hergestellt und in zwölf Bars und anderen Gastronomien sowie zwei Buchhandlungen aufgestellt worden. Die Anzahl der Postkarten pro Motiv ist 1.000, insgesamt sind es 10.000 Stück. Darüber hinaus ist jede der zwölf ‚Vertriebsstellen‘ der Postkarten von außen mit einem lokal typischen Illuminarie- Element in Form einer Spirale versehen. Dieses Spiralornament weist durch die nach außen offene Form jeden Ort aus als ein Zentrum zunehmender Verbreitung. Es steckt sicherlich keine Zahlensymbolik in diesen Vervielfachungen, vielmehr ist das Verhältnis der Vielheit der Installationen (10), ihrer materiellen Träger (10.000 Bildpostkarten), ihrer primären Präsentation in den Bars (12) sowie der weitergehenden Wahrnehmung und Kommunikation der Interventionen ein additives, multiplikatives und mehrdimensionales.
Bezieht man sich auf die zehn Installationen selbst – ihre lokal-historische Ortsspezifik und Narration, bildliche Immanenz, diskrete Virtualität und die einzelnen Titel – so erweitern sich die Dimensionen noch ein weiteres Mal nach innen.

1. Trespassers welcome / benvenuto ai non autorizzati. Porto Badisco, wenige Kilometer südlich von Otranto
Unbefugte willkommen. Über der Einfahrt zum Naturhafen Porto Badisco erstreckt sich ein riesiger Illuminarie-Bogen, dem der Betrachter zur beginnenden Abendstunde Richtung Meer erwartungsvoll entgegenblickt. Auch Unbefugte seien willkommen, sagt der Titel. – Lokale Historiker spielen immer wieder mit dem Gedanken, dass Äneas, der Stammvater Italiens, auf seinem Seeweg, der ihn letztlich zum Tiber führte, hier Station gemacht habe. Vergils Beschreibungen des ersten Landgangs Äneas im späteren Italien würden sehr auf die Bucht Porto Badiscos zutreffen. Zu jener Zeit war Äneas selbstverständlich ein Fremder an dieser Küste, ohne Befugnis. – Neben dieser lokalen Äneas-Erzählung gibt es eine zweite Begebenheit, die eine sehr reale Situation und gleichurspünglich für diese Installation ist: Unmittelbar links angrenzend an den Naturhafen gibt es eine Reihe von Höhlen, die von kaum zu überschätzendem kulturhistorischem Wert sind für die Entwicklung der Zeichen- und Schriftsprache. Jedoch ist nur Fachleuten der Zugang gestattet. Würde man die Höhlen öffnen und sie der Öffentlichkeit, dem Licht und der Luft aussetzen, wäre ihr Bestand gefährdet. – Das Bildarrangement der Postkarte inszeniert zur blauen Stunde die Erwartung, dass für einen Abend oder einen dauerhaft gesetzten Moment lang auch Unbefugte willkommen sein mögen, um mit eigenen Augen zu sehen, was bisher nur erzählt und geschrieben wird und lediglich auf Bildern zu sehen ist.
2. Healing hysteria / l’isteria che cura. In der Chiesa del Diavolo bei Tricase
Heilsame/heilende Hysterie. Es gibt eine Vielzahl sehr aufreizender Bilder zum Phänomen des tarantismo – aufreizend unter popkulturellen oder psychoanalytischen Gesichtspunkten. Der tarantismo ist ein rituelles, mit pizzica-Musik verbundenes Heilungsritual und galt ursprünglich Frauen, die als Leibeigene, von Grundbesitzern ausgebeutet, Hysterien entwickelt haben, welche auf den Stich von Taranteln zurückgeführt wurden. Viele Bilder des tarantismo sind von einem gebannten Blick auf die einzeln sich dem Ritual hingebenden – und sich auf weißem Tuch den Bewegungen von Taranteln anverwandelnden – Frauen geprägt. Um diese Frauen herum drängen sich sehr viele Zuschauer, die ebenso gebannt wie der Blick durch die Kamera das Geschehen verfolgen und heraufbeschwören. Die Inszenierung des aufsteigenden weißen Nachtkleids inmitten der zerfallenden Chiesa del Diavolo – Kirche des Teufels, weil sie schnell wie der Teufel errichtet wurde – ist ein allegorisches Bild des tarantismo. Es versucht, durch die Verspiegelungen des Rituals hindurch zu sehen, ohne diesem den Stachel zu ziehen. Das exzessive, bisweilen leidenschaftlich aufgeladene Leiden der Frauen solle nicht noch einmal gedoppelt werden, ebenso wenig wie die seit Jahren praktizierte Folklorisierung und obskurantistische Re-Vitalisierung des Rituals. Doch es scheint eine Leerstelle fortzubestehen. Die perkussive pizzica-Musik ist verstummt und alle Beteiligten sind bei der Himmelfahrt des Nachtkleids in der taghellen Kirche des Teufels verschwunden. Der tarantismo, untrennbar verbunden mit dem ‚Stich des Stachels’, wird bis auf weiteres als Projektion ebenso wie als Negation sexueller Realität gesehen.
3. Blowing in the wind / soffiando nel vento. Auf dem See einer ehemaligen Bauxitmine südlich von Otranto.
Im Wind wehen. Geht man die Küste südlich der Stadt Otranto, findet man einige Schritte von der Küste entfernt – wenige hundert Meter vom östlichsten Punkt Italiens – diese kegelförmig abfallenden, rotleuchtenden Erdwände, die unten in friedlich unberührtem Bewuchs und türkisfarbenem Wasser enden. – Unten auf dem Wasser weht kein Lüftchen, dennoch zeigt die Installation eine Gruppe weißbesegelter, unbemannter Boote, die von einem unerklärlichen Wind auf kleinstem Raum in verschiedene Richtungen steuern. – Ein traumhafter kleiner See mit surrealen Farben, der Jahrzehnte zuvor dem Abbau von Bauxit zur Herstellung grauen Aluminiums gedient hat. Nicht zu begreifen, welcher Wind weht, der zu diesem stillen, ebenso reizvollen wie albtraumhaften Trugbild der unbemannten Segelmanöver geführt hat.
4. Giving birth to dinos / ha dato i natali ai dinosauri. An einer Vielzahl von Orten im Salento anzutreffende Bauruinen.
Dinosaurier zur Welt kommen lassen. Anders als in Hollywood, wo Dinosaurier gezüchtet werden und übereifrigen und kontrollwütigen Zoologen Ärger zu machen verstehen, warten viele Dutzend große konstruktive Gebilde im Salento noch auf eine nachhaltige Injektion zu ihrer Auferstehung. Bis dahin gelten sie als Archäologische Zone – Architektur der Moderne. So sagt eine Auskunft auf dem Hinweisschild für historische Monumente.
5. Out of season / fuori stagioni. In der geschlossenen Markthalle in Gallipoli.
Außerhalb der Saison. Die Markthalle der Altstadt von Gallipoli, direkt am Fuß des Kastells, ist seit längerer Zeit nicht mehr der Ort des regelmäßigen Marktes. Der Fischmarkt befindet sich jetzt im Freien, unterhalb der Straße, einige Meter weiter Richtung Hafen. Die zukünftige Nutzung der Markthalle ist umstritten, für viele eine unbefriedigende Situation. Das Bild zeigt einen hell gefliesten Marktstand mit einzelnen Kacheln in Orange und Dunkelblau. Frisch geöffnete Seeigel (ricci) korrespondieren mit den Farben dieser Kacheln und warten auf genüsslichen Verzehr. Die Box mit den stacheligen Meeresfrüchten wurde auf dem provisorischen Fischmarkt 100 Meter entfernt außerhalb der Fangsaison erworben. – Markthalle und Marktprodukte auf der Suche nach gemeinsamem Auftritt.
6. Listen to / ascoltare. Hinter der Kirche Santa Maria della Croce (Casaranello) in Casarano.
Zuhören. Bei der ersten Ortsbegehung war die Kirche Casaranello, die für ihre byzantinischen Mosaiken und frühmittelalterlichen Fresken berühmt ist, für Restaurierungsarbeiten eingerüstet. Der Charme der Kirche lag zu der Zeit allein in ihrem Inneren, von außen war sie kaum zu erkennen. Und der Turm trug noch seine zwei Glocken. Einige Wochen später, nach Beendigung der Außenrestaurierung, waren die Glocken nicht mehr vorhanden, sie sind gestohlen worden, vielleicht als Pfand. – Auf dem nicht öffentlichen, nicht restaurierten, aber frei zugänglichen Platz hinter der Kirche lässt das Bildarrangement zwei Ziegen den Betrachter ansehen. Beide Ziegen haben ein kleines Glöckchen um den Hals hängen. – Wer hört die verlorenen Glocken läuten beim Blick in die treuen Augen?
7. Come across / incontrare per caso. Fassade des Hotels Albánia in Otranto.
Auf etwas stoßen/unbekannte Begegnung. Die östliche Fassade des Hotels Albánia weist auf das nur wenige dutzend Kilometer entfernte Albanien. Bei sehr klarer Luft kann man die Berge Albaniens an der gegenüber liegenden Adriaküste sehen. An der Ostküste des Salento stranden immer wieder Flüchtlinge, die meist mit schnellen kleinen Booten herüber kommen. Erreichen sie die Küste und werden nicht von den italienischen Behörden gefasst, sind sie völlig auf sich gestellt, bekommen Anschluss an Helfer oder werden von Salentinern aufgenommen. Das sehr klar und modern gestaltete Hotel Albánia ist kein Anlaufpunkt für Flüchtlinge, steht aber dennoch für die Wunschvorstellung vieler von ihnen, eine moderne, offene westliche Welt zu erreichen. Die falsche Spiegelung albanischer Berge in den Fenstern des Hotels zeigt einen perspektivischen Wechsel: Aus der Ferne, mit dem zufriedenen Blick aus dem Westen, erscheint die albanische Küste in einem romantischen Licht, leicht verschwommen in der Projektion und verheißungsvoll.
8. Circus maximus / circo massimo. Ehemaliger Steinbruch in der Nähe von Ugento.
Zirkus Maximus. In einem der riesigen ausgedienten Steinbrüche des Salento waren über eine weit ausholende Rampe eine Reihe von Autos eingefahren – wie Gladiatoren im Zirkus Maximus des Forum Romanum in Rom – und in Brand gesetzt worden. Die Ästhetisierung der Szenerie – mit dem cinematographischen Breitwandformat und den diagonal eingeblendeten illuminarie – setzt auf die Konfrontation mit den realen Inszenierungen in den beeindruckend brach liegenden und zum Teil missbrauchten Steinbrüchen. Inoffizielle Praktiken des aktiven Vergessens – vom einfachen Vermüllen über das Verbrennen gestohlener Autos bis zum Töten von Haustieren – sind hier bisher stärker als offizielle Programme der Neunutzung oder passiven RenaturaliVervielfachung der ohnehin schon vielen Flaggen und Fahnen auf dem Dach: Ein – wenn auch noch unbeholfenes – Wehen der Flaggen verschiedenster Nationalitäten hoch über dem Meer. In La Guardiola – deutsch: der Wachturm –, mit dem Logo einer Schnecke, ist es üblich, offenen Gesichts frei Schnauze zu sprechen, in alle Richtungen – im Wissen darum, dass die meisten Dinge nur im Schneckentempo voran gehen.

9. Sea watching / guardando il mare. Am Strand von Torre Pali, Comune di Salve.
Das Meer beobachten. Während der Furcht vor türkisch-sarazenischen Invasoren wurden die salentinischen Küsten mit vielen steinernen Wachtürmen versehen und sehr aufmerksam beobachtet. Der erschreckte Ruf „Mamma, gli turchi!“ – Mamma, die Türken kommen! – ist ein Relikt aus diesen Zeiten. So mancher Salentiner versteht sich – ob stolz, augenzwinkernd oder wehmütig – als Nachfahre der unfreiwilligen Verbindungen mit den fremden Eroberern. Heute, am Strand von Torre Pali, gibt es importierte Palmen an den Küsten, der türkische Halbmond mit Stern steht versöhnlich und wie in einer Theaterkulisse am Himmel, und der Wachturm ist zerfallen, als gäbe es posthistorische Verhältnisse. Nur die unzähligen Reifenspuren lassen auf unaufhörliches, mobilisiertes sea watching schließen – oder auf aufwändige Verrückungen beim Aufbau der Kulissen am Strand.
10. Mix up / mescolare. Die Bar La Guardiola, Marina Guardiola, Comune di Corsano.
Durcheinander bringen. Die Bar La Guardiola liegt weit im Süden, hoch oben an der östlichen Felsküste des Salento. Sie ist für Constanze Unger der erste Ort gewesen, an dem jemand aus dem Salento, der nicht am InItinere-Projekt beteiligt gewesen ist, von dem Kunstvorhaben wusste und eine Reihe von Fragen gestellt hat – beginnend mit der, was das Projekt denn sei, er hätte den am Morgen gelesenen Zeitungsartikel nicht verstanden. Die erste Idee für die Wahl dieses Ortes beinhaltete, hier einen Kommunikationspunkt der ten places to be met nach außen zu installieren, mit öffentlicher Internetverbindung und einem provisorischen Pressebüro. Umgesetzt wurde dann eine Vervielfachung der ohnehin schon vielen Flaggen und Fahnen auf dem Dach: Ein – wenn auch noch unbeholfenes – Wehen der Flaggen verschiedenster Nationalitäten hoch über dem Meer. In La Guardiola – deutsch: der Wachturm –, mit dem Logo einer Schnecke, ist es üblich, offenen Gesichts frei Schnauze zu sprechen, in alle Richtungen – im Wissen darum, dass die meisten Dinge nur im Schneckentempo voran gehen.

Dank:
Die Künstlerin und der Kurator danken Antonio und seinen funkelnden Augen aus La Guardiola; Umberto Scotti und seinem unwiderstehlichen Charme am Strand von Torre Pali; Nicola Sansó und seinem verschmitzten Lächeln beim Einstimmen in das Bild des Circo Massimo; allen Kunstarbeitern des Projekts für die gemeinsamen Tage ausgehend vom Hotel Albánia; Mariarita und Mario Turco für ihre Freundschaft sowie den ebenso lieben Zicklein aus Casarano; Fernando Schiavano für seinen freundschaftlichen und künstlerischen Feinsinn und tausend Dinge mehr als nur die Sandwiches in Gallipoli; dem taurisanischen Mario Paiano für seine transsalentinische Diplomatie; der schönen Monica für ihre diskreten Übersetzungen auch bei Flaute und Sturm; dem scharfäugigen Andrea Morgante für das Fotografieren des fotografischen Assistenten unterm Nachtkleid in der Chiesa del Diavolo; Torquato Parisi und seinen Brüdern für die 12- und mehrfach aufgehenden illuminarie – sowie über die genannten hinaus allen anderen herzlichen Salentinern für die Einladung, dass sie, die Künstlerin, sich in ihre, die der Salentiner, Geschichten mischen durfte.

Interview – Constanze Unger antwortet den Fragen von Nicola Sansó

1. Wie entstand die Idee für „Ten places to be met“?
Ausgangspunkt meiner Idee für „Ten places to be met“ war zum einen der Titel des Ausstellungsprojektes selbst, der auch als Programm zu verstehen ist – INITINERE – was ich mir übersetzt habe als: sich auf den Weg machen. Die 10 Postkarten von „Ten places to be met“ machen sich auf die Reise/den Weg in andere Städte und Länder. Des weiteren habe ich viele interessante Begegnungen im Salento gehabt, sowohl mit unterschiedlichen Orten als auch mit den Menschen, die dort leben. Die Postkarten erzählen jeweils eine kleine Geschichte vom Salento durchdrungen von meiner künstlerischen Sicht.
2. Heute, in Zeiten des Internets, sind doch Postkarten fast ein altmodisches Medium?
Doch ein Medium mit gewissem Charme, denn wer erhält – trotz viel schnellerer e-Mail – nicht gerne eine Postkarte von einem weit entfernten Ort und entwickelt in dem Moment des Anschauens die Imagination auch an diesem Ort zu sein. Zugleich schürt eine solche Postkarte unser Fernweh, weil wir den entfernten Ort nur virtuell erleben können.
Die Postkarten von „Ten places to be met“ werden zur kommunikativen Brücke zwischen den Orten und dem Betrachter, zwischen dem Absender und dem Empfänger und zwischen dem Salento und dem Adressaten.
Des weiteren fand ich es reizvoll, Orte zu inszenieren, ohne sie real zu berühren, d.h. rein virtuelle Installationen zu machen, die den Betrachter hin- und herschauen lassen zwischen der so genannten Wirklichkeit und der Imagination, und Postkarten schienen mir hierfür sehr geeignet zu sein.
3. Was hat dich am Salento am stärksten beeindruckt?
Aufgrund der hervorragenden Führungen und Informationen, die uns Polymorphosis-Künstler von Seiten der Organisatoren in Casarano und Lecce beim ersten Aufenthalt im Salento geboten wurden, und durch Menschen, die dort leben und inzwischen zu Freunden geworden sind, lernte ich diese Region kennen.
Was mir bei meinen Besuchen immer wieder deutlich wurde, ist, dass sich viele Völker mit ihren verschiedenen Kulturen dort niedergelassen haben; auch heute ist immer noch eine große kulturelle Vielfalt erlebbar, die meines Erachtens zu einem Charakteristikum dieser Region geworden ist. Ich habe viele persönliche Geschichten gehört, erzählt von den Menschen des Salento, die sich als Teil dieser kulturellen Vielfalt sehen. Die Menschen des Salento bezeichnen diese Region oft als fine terra – das Ende der Welt – aufgrund der geographischen und wirtschaftlichen Lage, die zumTeil auch die politische Geschichte – der Konflikt zwischen Nord- und Süditalien – verursacht hat. Aber andererseits scheint diese Region für Ankommende aus östlichen und südlicheren Ländern der Anfang der Welt zu sein. Und es ist sicher auch eine Brücke zwischen Orient und Okzident.
Mir war es ein Anliegen mit den Motiven der Postkarten diesen Aspekten Rechnung zu tragen.
4. Ist diese Herangehensweise an ein künstlerisches Projekt neu für dich?
Teils ja, teils nein; in den letzten 8 Jahren habe ich vor allem Projekte im öffentlichen Raum erarbeitet. Bei allen waren sowohl soziokulturelle Aspekte des Alltags der Menschen vor Ort als auch die spezifischen Beschaffenheiten der Orte und die damit verbundene Wahrnehmung ein Antrieb für die künstlerischen Ideen und ihre Umsetzung. Diese Arbeiten im öffentlichen Raum erfordern immer eine intensive Kommunikation mit den Menschen, vor allem, wenn man sie einbeziehen möchte – wenn sie ein Teil der Installation werden sollen, wie es in meinen Arbeiten in Erfurt und Leipzig im Jahr 2002 der Fall war. Bei „Ten places to be met“ wurden nicht die Menschen selbst sondern ihre Geschichten und die der Region ein Teil der Arbeit. Die Postkarten zeigen Landschaften und Architektur des Salento, kombiniert mit Dingen, die nicht wirklich dort zu finden sind, die jedoch einen anderen Blick auf diese Orte eröffnen.
Ein weiterer neuer Aspekt bei diesem Projekt ist die Materialisierung der 10 salentinischen Geschichten in Form von meist kurzlebigen maschinell gefertigten Multiples, die jeder für 50 Cent kaufen kann.
5. Wie haben die Menschen reagiert, als du von deiner Absicht erzählt hast, in ihrer Bar oder Buchhandlung deine Postkarten auszustellen und zu verkaufen?
Als ich mit dem transnationalen Koordinator Mario Paiano – ich spreche leider nicht genügend Italienisch, um alles vor Ort organisieren zu können – die Bars und Buchhandlungen aufsuchte, nahm ich erste Entwürfe für die Karten mit. Die Reaktionen der Besitzer waren sehr positiv, sie freuten sich, ein Teil von INITINERE während der Ausstellungsdauer zu sein und waren einverstanden, dass sowohl ein Postkartenständer als auch ein Lichtobjekt – ein Illuminiere in Form einer Spirale – am Eingang angebracht werden. Dann beim Installieren der Postkartenständer und der Illuminieri-Spirale sprachen mich viele Leute an, sie waren sehr interessiert an dem Projekt.
6. Welche Reaktionen hast du im Nachhinein von den Leuten vor Ort bekommen?
Vor allem während und nach der Eröffnung von INITINERE kamen viele Reaktionen und viele Gespräche vor allem über die Postkartenmotive. Manche fragten, warum ich genau diese Orte ausgesucht und in die zu sehenden Zusammenhänge gesetzt habe. Andere fragten mich, wie ich überhaupt auf die Orte gekommen sei, die auf den Karten inszeniert sind. Und sie erzählten mir, dass ich ihrer Meinung nach zum Teil typische, zum Teil weniger bekannte Orte und Geschichten ausgesucht hätte, die auch für sie wichtig sind und dass mein Blick von außen – einem anderen europäischen Land – für sie überraschend treffend sei in Bezug auf regionaltypische Vorgänge. Der Besitzer von La Guardiola, Antonio, war regelrecht glücklich darüber, dass ich seine Bar als Motiv verwendet habe. Er hat gleich das Foto der Karte – seine Bar mit vielen, vielen internationalen Fähnchen auf dem Dach – auf seine Zuckerpäckchen für den Espresso drucken lassen mit der Aufschrift ‚einer von 10 Orten des Salento’. Und das Foto wurde zudem in der Zeitschrift Gracia abgedruckt, in der auf 2 Seiten über ‚das Ferienparadies’ Salento berichtet wurde. Öfters kamen auch Leute vorbei, die die Bar von der Postkarte wieder erkannt haben. Antonio und auch einige andere Barbesitzer möchten die Karten gerne nach dem Ausstellungsende weiter in ihren Bars verkaufen.
Ich habe auch erfahren, dass es bei den Postkartenmotiven einige Orte gibt, die nur wenige Einwohner kennen, so dass es immer wieder Diskussionen gab, wer diesen oder jenen Ort schon mal gesehen hat und wo das denn sei. Zum Beispiel kennen viele Leute die Bauxitmine bei Otranto nicht, die einen großen, wunderschönen Seekrater hinterlassen hat. Oder auch die Chiesa del Diavolo vor den Toren von Tricase, die mit ihrer oktogonalen Form und ihrem Namen eine kunsthistorische Rarität ist, ist recht unbekannt. Für einige wurden die Postkarten zum Anreiz, diese Orte, die sie bislang nicht wahrgenommen haben, zu besuchen.
Insgesamt war ich überrascht wie kommunikativ und selbstverständlich die Menschen mit diesem Projekt zeitgenössischer Kunst umgehen, und es zu einem Teil ihres Alltags gemacht haben.
7. Ist dein Konzept der virtuellen Installation, die Realität und Imagination miteinander verschränken oder sogar in Konkurrenz treten lässt, aufgegangen?
In Porto Badisco fragten mich die Leute, wann denn dieser schöne Illuminieri-Bogen über der Bucht zu sehen gewesen sei. Sie hätten ihn leider nicht gesehen. Ich musste ihnen gestehen, dass es diesen Bogen nie real gegeben hat. Sie verziehen mir, aber sie wollten unbedingt ein großes Poster von dem Postkartenmotiv haben, das ihre wunderschöne Bucht zeigt mit einem Lichterbogen, der dort nicht ist, jedoch ihrer Landschaft eine andere, etwas irritierende Atmosphäre gibt. Hier entstand eine neue Identifikationsebene, in der die Wirklichkeit des ohnehin geliebten Ortes mit der Imagination des Bildes verbunden wurde.
Daran wird deutlich, dass es weniger um Konkurrenz geht als vielmehr um ein Spiel zwischen dem, wie die Orte sind und man sie kennt und der Imagination, die auffordert, diese Orte zu besuchen und sich ein Bild von ihnen zu machen und ihre Widersprüchlichkeit, Schönheit, Verlassenheit, ihren Alltag und ihre Zukunft neu zu sehen.